Über die traditionsreiche Geschichte des Flößereibetriebs
Aus rotem Seidenstoff, verziert mit üppiger Goldstickerei, ließen die Wolfratshauser Floßmeister im Jahre 1858 eine prachtvolle Fahne für das ehrsame Handwerk der Floßleute anfertigen. Den „Goldbatz’n“ dazu, die Quaste im Wert von 30 Gulden, stifteten die Floßknechte. Sankt Nikolaus, der Wasser- und Schiffahrtspatron, ist in der Mitte des Fahnenblattes auf dem Bildmedaillon dargestellt, wie er segnend von einer Wolkenbank auf die floßfahrenden Männer herunterblickt. Denn ihn riefen sie an in großer Not und Bedrängnis: „Sankt Nikolaus uns bewahr, vor allem Unglück und Wassergefahr!“ Das Banner war der Stolz einer jeden Zunft. Eine kostbare Gestaltung ließ Rückschlüsse auf das vorhandene Vermögen zu. Bei Prozessionen und Festen trug man es standesbewußt durch die Straßen. Die Wolfratshauser Floßleute marschierten mit ihrer Fahne weit bis ins 20. Jahrhundert bei den Fronleichnamsprozessionen mit, bevor das Prunkstück aus konservatorischen Gründen dem Heimatmuseum zugeführt wurde. Im dortigen Flößerzimmer, neben Zunfttruhe, Flößerkleidung, Werkzeug, Floßmodellen und historischen Bildern, erinnert die Fahne an jene Zeit, als die Flößerei in erster Linie dem Holz- und Warentransport auf Isar und Loisach.
Seit dem 12. Jahrhundert, der Zeit der Städtegründungen durch die bayerischen Herzöge, ist die Flößerei nachweisbar. Damals wurden zum Aufbau große Mengen von Holz in jeder Form, Steine, Kalk und anderes Material benötigt, was das waldreiche und gebirgige Oberland natürlich gut ins Geschäft, vor allem mit den Städten München, Freising und Landshut, brachte. Der rege Holzhandel und die landesweit anhaltende Baulust ließ Bayerns Herzog Albrecht IV., der Weise genannt, gar um die Waldbestände in Tölz fürchten, weshalb er im Jahre 1476 ein Landgebot zur Schonung der Junghölzer anordnete. Allein beim Bau der Münchner Frauenkirche durch Jörg von Halspach in den Jahren 1468 bis 1488 benötigte Zimmermeister Heinrich für den gewaltigen Dachstuhl 147 schwerbeladene Bauholzflöße, davon 49 Zimmer- und 43 Schnittholzflöße mit zusammen etwa 630 Festmeter Rundholz. Weitere Belebung erfuhr das Flößereigewerbe, als die angesehenen venezianischen Kaufleute ihren Markt mit „welschen“ Waren ab 1687 in Mittenwald abhielten. Südfrüchte, Gewürze, Ballen mit Baumwolle, Pfeffersäcke, Samt und Seide wurden dort von ihnen gehandelt und verkauft. Für den Weitertransport der teuren Ware sorgten auf der Landstraße die Rottfuhrunternehmer, auf dem Wasserweg die Flößer von der „Nassen Rott“. Persönlich hafteten die Floßmeister für das Frachtgut. Ging Ware beim Floßtransport „zugrunde“, mußte der Eigentümer entschädigt werden, widrigenfalls drohte ein Fahrverbot. Nur gezunftete Flößer mit langjähriger Berufserfahrung, ehrbarem Namen, Besitz und Ehestand konnten Floßmeister werden. Allerdings blieb ihre Zahl beschränkt. Erst wenn einer „abgeleibt“ war, konnte ein anderer an dessen Stelle nachrücken. Nicht mehr als 20 Floßmeister sollten es in Mittenwald sein, bis zu 24 waren in Tölz erlaubt. Wolfratshausen hatte um 1800 sieben Floßmeister und 26 Flößer. In der königlichen Residenzstadt München wurden 1831 noch zehn Floßmeister verzeichnet. An der Unteren Lände in München, beim heutigen Deutschen Museum, herrschte emsiges Treiben durch die ankommenden Flöße aus dem Isarwinkel und Loisachtal.
Gestellte Ländhüter wiesen die Flößer zu ihren Anländestellen und wachten darüber, daß die vom Münchner Magistrat erlassene Ländordnung eingehalten wurde. Jedes Floß mußte vorschriftsmäßig ausgestattet und mit einer des Fahrens wohlkundigen Person bemannt sein. Es war bei Strafe verboten, „berauschte Personen, Weiber oder Knaben zu verwenden“. War die Ladung übergeben und das Floß verkauft, wanderten die Flößer mit praller „Geldkatz“ um den Bauch, mit Rucksack auf dem Buckel und geschulterter Floßhack den langen Weg zurück in ihren Heimatort. Vom Frühjahr bis spät in den Herbst waren die Flößer unterwegs, so oft es Wetter und Wasserstand zuließen. Geflößt wurde vom Morgengrauen bis zur Dunkelheit. An Sonn- und Feiertagen war das Floßfahren verboten, und die Floßmeister mußten ihre Floßknechte zum Besuch des Gottesdienstes anhalten. Die im Lermooser Becken entspringende Loisach hatte ab Garmisch genug Wasser für den Floßtransport. Aber Eschenlohe, Ohlstadt, durch den Kochelsee, Benediktbeuern, Beuerberg trieben die beladenen Holzgefährte nach Wolfratshausen, das lange Zeit Zollstelle war. Im Jahre 1496 legten 3639 Flöße an der dortigen Lände an. Was es 1501 auf der Loisach alles zu verzollen gab, verrät der „Summarische Extrakt und beschreybung der Khauf-Handels und Schefleuth im Lands Bayrn“: gebogenes Ebenholz, Papier, Pferdedecken, Käse, Schafwolle, Maultrommeln, Barchent, gestrickte Hemden, Kreide, Schuhe, Kupferwasser, Schmalz, Schleifsteine, Wetzsteine, Hopfenstangen, Seegras, Fische (auch lebend).
Ab Scharnitz war die im Karwendelgebirge entspringende Isar floßbar, hinunter bis zur Donaumündung bei Plattling. Eine 265 km lange Wasserstrecke mit teils gefährlichen Abschnitten. Viele Flößer transportierten ihr Frachtgut jedoch weiter zu den Donaustädten bis Wien oder Budapest. Auch ein Reisefloß, das Ordinari, verkehrte seit 1623 einmal wöchentlich von München nach Wien. Etwa sieben Tage dauerte die feuchte Reise auf dem Wasser, die pro Person drei Gulden kostete. Kinder waren frei.
Solange es noch keine Dampfmaschinen für Schiffahrt und Eisenbahn gab und der Benzinmotor noch keine Autos antrieb, galt das Floß auf Isar und Loisach als schnellstes und billigstes Transportmittel. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begannen die modernen Beförderungsarten das jahrhundertealte Floß zu überholen. Die Flößer mu8ten ihre Vormachtstellung aufgeben. Bald ging es nur noch ums überleben. Ganze Flußstrecken fielen dem Fortschritt der Technik zum Opfer, als die Gewinnung elektrischer Energie durch Wasserkraft ihren Lauf nahm. Mit der Ableitung von Isarwasser zum 1924-28 errichteten Walchensee-Kraftwerk war der Fluß so geschwächt, daß er dort kein Floß mehr tragen konnte, und so verschwand der Berufsstand der Flößer im Oberen Isartal. Wegen außerordentlicher Energienot nach Kriegsende erhielt der Walchensee weitere Verstärkung, diesmal durch den Rißbach. Der wasserreiche Isarzufluß bei Vorderriß versiegte damit für die hier noch betriebene Flößerei, und die Flößer erhielten eine Entschädigung. Als 1954-59 der Sylvenstein-Wasserspeicher mit Kavernenkraftwerk und schließlich gar noch der Tölzer Stausee an die Isar gehängt wurden, kam die geregelte Floßfahrt auch in Lenggries und Tölz zum Erliegen.
Im Transportwesen von heute mit weit ausgebautem Schienen- und Straßennetz spielt das Floß auf Isar und Loisach keine Rolle mehr.
Doch erhalten blieben die Ausflugsfloßfahrten, die seit mehr als 100 Jahren mit Eröffnung der Isartalbahn München Wolfratshausen viele Freunde fanden. Auch heute noch ist es ein unvergeßliches Erlebnis, auf dem gemütlichen Floß in munterer Gesellschaft durch die naturgeschützte Pupplinger Au zu treiben, unter Brücken hindurch, über „Floßrutschen“ hinunter, an Ufern mit herrlichen Mischwäldern entlang, an Nagelfluhfelsen und steilen Hochufern mit Burgen und Kirchen vorbei. Eine 25 km lange Flußstrecke von Wolfratshausen bis München wie im Bilderbuch. Die unverbaute Schönheit ist dem Isartalverein e. V. zu danken, der sich seit 1902 um die Erhaltung dieses Talabschnittes bemüht. Glücklicherweise achten die drei heutigen Floßunternehmer, Nachkommen alter Flößerfamilien, auf Tradition. Wie seit Generationen weitergegeben, bauen sie das Isar-Loisach Floß aus Fichtenholzstämmen in alter Technik zusammen. Das Werkzeug hierfür fertigen sie selbst in Handarbeit. Wie die Alten, wissen auch sie um die Gefahren bei der Arbeit auf dem Wasser. Jedes Jahr feiern sie deshalb ihre gemeinsame Flößermesse und bitten um Schutz und Segen für die kommende Saison in aller Stille, am Namenstag des Brückenheiligen St. Johannes Nepomuk.
Jeweils ab 1. Mai sind sie auf Fahrt durchs Isartal, bis die traditionelle „Eisfahrt“ Mitte September die Floßsaison beendet. Dazu laden die Floßunternehmer ihre Flößer mit Familien und Freunden ein. Gemeinsam fährt man auf geschmücktem Floß zum letzten Mal im Jahr nach München zur Zentrallände in Thalkirchen.
Text: Lauterbach Helga, Flößerei auf Isar und Loisach, Kreissparkasse Wolfratshausen, 1995.